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Wochengage vs. Tagesgage | Vor- und Nachteile

Diese Betrachtung bezieht sich auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit Anwendung des ver.di-Tarifvertrages für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) in seiner Fassung von 30. April 2021.
Die Anwendung des TV FFS kann durch Tarifbindung erfolgen, oder, was in der deutschen Filmwirtschaft häufiger vorkommen dürfte, durch einzelvertragliche Inbezugnahme über den individuellen Anstellungsvertrag.

Auf den ersten Blick mag es vorteilhaft scheinen, auch für längere Projekte möglichst Verträge auf Tagesgage zu verhandeln, weil damit eine Verrechnung von geleisteter Mehrarbeit (Überstunden) mit kurzen Drehtagen derselben Woche vermieden wird.
Schaut man jedoch genauer hin, so dürfte sich dies in den meisten Fällen als Trugschluss erweisen, da der o.g. Vorteil der Einzige ist, den das Tagesgagen-Modell zu bieten hat. Gleichzeitig bringt es aber teils gravierende Nachteile mit sich, die durch diesen einen Vorteil selten aufgewogen werden dürften.
Umgekehrt dürfte beim Vertrag auf Wochengage in der evtl. Verrechnung von geleisteter Mehrarbeit der einzige wirkliche Nachteil liegen, (der bei genauer Betrachtung allerdings weit weniger gravierend sein dürfte, als es auf den ersten Blick scheint), gleichzeitig bietet dieses Modell jedoch einige gewichtige Vorteile.

Im Einzelnen:
Nur wenn innerhalb einer Woche Tage mit deutlich unter 10 Std. UND Tage mit deutlich über 10 Std. Arbeitszeit stattfinden, gehen durch die Verrechnung tatsächlich nennenswert geleistete Überstunden verloren.
Finden die unterschiedlich langen Tage nicht innerhalb einer Woche statt, ist es unproblematisch, da die Verrechnung nur innerhalb der Wochenpauschale für die Arbeitszeit (in der Regel 50 Std.) erfolgen kann.
Wird an allen Tagen in einer Woche maximal 10 Std. ODER an allen Tagen in einer Woche mindestens 10 Std. gearbeitet, ist es ebenfalls unproblematisch, weil es dann nichts zu verrechnen gibt.
Stunden jenseits der 12. Tagesstunde sind laut TZ 5.4.3.3 TV FFS als tägliche Mehrarbeit zu behandeln und wirken sich daher auf die Summe der wöchentlichen Mehrarbeitszeiten nicht aus, können also ebenfalls nicht verrechnet werden.
Damit bleiben nicht viele Fälle, in denen die Verrechnung wirklich schmerzt, und diese befinden sich dazu allesamt innerhalb der 25%-Zone.
Es gehen bei korrekter Anwendung der Regelungen des TV FFS niemals Überstunden mit Zuschlägen über 25% verloren.

Tagesgagenverträge hingegen haben entscheidende und oft übersehene Nachteile:
Im TV FFS lässt sich unter TZ 9 nachlesen, wie kurzfristig Drehtage bei Tagesgage abgesagt werden können und wie gering dabei der finanzielle Ausgleich ist, sofern es diesen überhaupt gibt.
Zu Wochengagen steht in diesem Zusammenhang nichts Offensichtliches oder ähnlich Lautendes im TV FFS, weil in TZ 4.3 geregelt ist, dass ..."der/die Filmschaffende (hat) in diesem Fall Anspruch auf die vereinbarten Vergütungen" hat. Das bedeutet: Fällt in einer Woche ein Drehtag aus, so schmälert dies nicht die Pauschale der Wochengage. Es können nur Überstunden anderer Tage derselben Woche mit dem freien Tag verrechnet werden, und dies auch nur, sofern es sich nicht um Überstunden handelt, die jenseits der 12. Tagesstunde entstanden sind (siehe oben sowie TZ 5.4.3.3 TV FFS).
Wenn das nur ein einziges Mal während der Drehzeit z.B. zu einem 90 minütigen Film passiert, z.B. weil es regnet, wäre man mit Tagesgagen-Vertrag schon uneinholbar schlechter gestellt, als mit Wochengagen-Vertrag. (Vorausgesetzt, man hat sich nicht darauf eingelassen, dass wegen Drehausfall Urlaubstage eingesetzt werden können, denn das ist ebenfalls unzulässig, (aber an anderer Stelle zu diskutieren)).
In Fällen, in denen ein Film komplett abgebrochen oder auf unbestimmte Zeit verschoben wird, würde man mit Tagesgage am nächsten Tag ohne jegliche Vergütung dastehen. Bei Wochengage besteht in diesem Fall laut TZ 4.3 TV FFS "Anspruch auf die vereinbarte Vergütung", was in der Regel jeweils eine Wochengagen-Pauschale für jede Woche bis zum ursprünglich geplanten Vertragsende oder ggf. der Beendigung des Vertrages durch ordentliche Kündigung (sofern zulässig) sein dürfte.
Darüber hinaus wurde von Fällen berichtet, in denen Leuten auch bei längeren Projekten wegen der Tagesgage der Urlaubsanspruch verweigert wurde. Das wurde damit begründet, dass bei Beschäftigungsverhältnissen unter fünf Tagen kein Urlaubsanspruch erworben wird und bei Tagesgagenverträgen jeder Tag quasi einzeln zu rechnen sei. Auch wenn diese Argumentation im Streitfall ggf. keinen Bestand haben dürfte, so käme es in Fällen von Wochengagenverträgen garnicht erst zu Diskussionen dieser Art.
Ähnlich wird teilweise argumentiert, um den Erwerb von Arbeitslosengeld-Ansprüchen zu verweigern.

Wir sehen, dass in kaum einem Fall, der über einzelne Beschäftigungstage hinaus geht, die Vorteile von Tagesgagen-Verträgen überwiegen würden.

In seltenen Fällen gibt es Verträge, in denen die Gage als Wochenpauschale ausgewiesen ist, mit der in der Regel bis zu 50 Std. abgegolten sind, gleichzeitig aber die Arbeitszeiten und die Mehrarbeitszuschläge auf einer Tagesbasis von meistens 10 Stunden geregelt sind. Gelingt es, einen solchen Vertrag mit einer wasserdichten Formulierung zu verhandeln, so lassen sich damit ggf. die Vorteile beider o.g. Modelle kombinieren.

Außerdem ist es manchmal möglich, z.B. durch Gentlemens Agreement Regelungen zu treffen, wonach Tage, an denen weniger als 10 Stunden Arbeitszeit angefallen sind, trotzdem auf 10 Stunden aufgerundet und damit neutralisiert werden können. Gelingt dies, so lässt sich damit der einzige Nachteil des Wochengagen-Vertrages, nämlich der evtl. Verlust geleisteter Überstunden durch Verrechnung, elegant vermeiden.

Sebastian Grundt, November 2022
Veröffentlichung unter CC BY-NC-ND 4.0